STALAG IX A Ziegenhain

von Lara Müller und Rebekka Thiele


Für unser Projekt anlässlich des Volkstrauertags 2017 und unsere Biographie zum russischen Kriegsgefangenen Iwan Gusew besuchten wir das Stammlager IX A Ziegenhain im heutigen Trutzhain. Schon bei unserer Ankunft fiel uns die symmetrische Anordnung der Häuser, Straßen und des gesamten Wohnblocks auf. Alles hat in Reih und Glied seinen Platz und die Hauptstraße verläuft ohne jeden Knick durch den Ort. Wir fühlten uns beklemmt und diese gerade Struktur war ungewohnt.

Die Anordnung des Ortes resultiert aus seiner Geschichte. Vor dem zweiten Weltkrieg befand sich auf dem Gebiet des heutigen Trutzhains eine Jungviehweide. Während des zweiten Weltkriegs entstand dort ein Kriegsgefangenenlager. Zuerst bestand es aus Zelten, nach und nach dann aus festen, ordentlich aufgebauten Baracken. Die meisten von ihnen stehen heute noch, sind jedoch renoviert.

Das Stammlager IX A Ziegenhain war das größte Kriegsgefangenenlager im heutigen Hessen. Gefangen gehalten wurden unter anderem Menschen aus Frankreich, Polen, Russland, den Niederlanden, Belgien, Serbien, Italien und Amerika. Der überwiegende Teil der Kriegsgefangenen musste außerhalb des Lagers in Arbeitskommandos Zwangsarbeit in Landwirtschaft und Industrie leisten.

Unter besonders schweren und unmenschlichen Bedingungen litten die sowjetischen Kriegsgefangenen, die seit November 1941 interniert waren. Schaut man sich den Lageplan des Lagers an, fällt auf, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen nochmals durch Zäune abgetrennt von allen anderen lebten. Kontakt zur Außenwelt war ihnen fast gänzlich verboten. Das Lager wurde zwar von internationalen Kommissionen überprüft, jedoch wurden sie nie in den hinteren, also den für die sowjetischen Gefangenen abgesperrten, Teil gelassen. Und aus Sicht der Nationalsozialisten hatte dies Gründe: Iwan Gusew, einer der sowjetischen Kriegsgefangenen, schildert in seinem eigenen Tagebuch, dass er an einem Tag im März 1945 als Tagesration weniger als einen Liter Suppe bekam, die so zerkocht gewesen sei, dass er sie „Wasser“ nennt, und 250 Gramm Brot bekam. Des Weiteren mussten sie körperlich härteste Arbeiten verrichten. Viele von ihnen waren krank, entweder wurde dies einfach ignoriert oder sie wurden kaltblütig erschossen. In den Baracken war es im Sommer viel zu heiß, was schon schlimm und anstrengend gewesen sein muss, im Winter jedoch war die Temperatur durch fehlende Dämmung im Inneren fast genauso niedrig wie draußen. Wir können uns kaum vorstellen, wie es damals gewesen sein muss, beispielsweise nach getaner Zwangsarbeit draußen nicht in eine warme Wohnung oder ein warmes Haus kommen zu können.

Doch nicht nur derartige Lebensbedingungen setzten den sowjetischen Kriegsgefangenen zu: Sie mussten täglich Beleidigungen und Schläge von Aufsehern über sich ergehen lassen. Und all dies wohlwissend, dass es auf der anderen Seite, zum Beispiel bei den Franzosen, wesentlich bessere Lebensbedingungen gab. Auch den Franzosen ging es aus heutiger Sicht nicht außerordentlich gut, denn auch sie waren Gefangene, aber bei ihrer Unterbringung hielt man sich weitestgehend an die Bestimmungen der Genfer Konvention. So hatten sie nach Gefangenenberichten genügend Essen und auch Zigaretten sowie Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung wie Orchester oder Theater.

Begründet werden können die eben beschriebenen Umstände mit dem Antislawismus, den die Nationalsozialisten propagierten und zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Rassenideologie ausbauten. In der menschenverachtenden nationalsozialistischen Weltanschauung galten die sogenannten „Ostarbeiter“ als „minderwertige Menschen“, die von den Nationalsozialisten entsprechend äußerst brutal und unmenschlich behandelt wurden.

Am 30.03.1945 wurden die Kriegsgefangenen des STALAG IX A von der US-Armee befreit. Danach diente es ihnen als sogenanntes Civil Internment Camp zur Unterbringung von beispielsweise SS oder NSDAP-Mitgliedern. Ab Sommer 1946 wurde das Lager von den Amerikanern als DP-Lager genutzt, also als Unterkunft für sogenannte Displaced Persons. Damit war es eine Durchgangsstation für Juden, die zum Beispiel nach Palästina auswandern wollten. Im Winter 1948 wurde das ehemalige STALAG IX A Ziegenhain zum Wohnort für Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Die dadurch entstandene Industrie verhalf zur Gründung der selbstständigen Gemeinde Trutzhain am 01.04.1951, in der auch heute noch knapp 760 Einwohner leben.

An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei der Gedenkstätte Trutzhain und besonders bei Frau Brandes bedanken, die uns sehr bei unserer Arbeit mit der Biographie Iwan Gusews unterstützt und uns einzigartige Blicke in sein Leben ermöglicht hat. Wir haben durch sie viel lernen können, zum Beispiel über das große Ausmaß der ungerechten Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Die Ausstellung des Museums ist sehr informativ und unserer Meinung nach auf jeden Fall mindestens einen Besuch wert. So kann man im Museum auch eine Tür mit Einkerbungen und Einritzungen aus der Zeit des zweiten Weltkriegs sehen. Auch die gesamte Anordnung des heutigen Dorfes, die ich schon in der Einleitung angesprochen habe, ist einmalig. Vor unserem Projekt wussten wir zwar noch nichts von der Existenz eines solchen Kriegsgefangenenlagers in unserer Nähe (knapp eine Stunde von uns entfernt), aber der Besuch der Gedenkstätte hat nicht nur unser Projekt weitergebracht, sondern auch unser Wissen über den Zweiten Weltkrieg erweitert.