Jan Novák

von Leonie Kuhne und Josefine Venne


Vor der Verhaftung

Jan Novák, in den Akten1 „Johann“ genannt, wurde am 20.10.1915 in Kolin, im heutigen Tschechien, geboren. Seine Mutter hieß Anna, geborene Ježková. Sein Vater, Karel Novák, war Ziegelarbeiter und hatte mit seiner ersten Ehefrau schon acht Kinder. Jan wuchs bei seinen Eltern in der Veltrupskagasse 887 auf, wobei er eine katholische Erziehung genoss.

Jan Novák ging fünf Jahre lang in die Volksschule und danach noch drei weitere Jahre zur Mittelschule. Da es in Tschechien schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts eine neunjährige Schulpflicht gibt, ist es interessant, dass Jan Novák die Schule ein Jahr früher abschloss. Nach seinem Schulbesuch machte Jan Novák eine vierjährige Lehre  zum Elektro-Mechaniker. Danach war er für 1½ Jahre (1937–1939) als Funker bei der tschechoslowakischen Armee tätig. Er besuchte nach dem Heeresdienst in den Jahren 1939/1940 zu seinem Beruf passende Seminare, unter anderem zum Thema Heizung.

Jan Novák trat im Mai 1939 in die Nationale Gemeinschaft ein und wurde dazu am 01.05.1940 Mitglied der Deutschen Arbeiterfront, wohl vor allem, um weiterarbeiten zu können.

Phantombild Jan Nováks
Phantombild Jan Nováks

Jan Novák traf sich im April bis August 1939 mehrmals mit Mitgliedern der verbotenen kommunistischen Partei. Er wurde aufgefordert, an den Aktivitäten teilzuhaben – dem stimmte er auch zu. Bald nach seiner Umsiedlung von Prag nach Kolin im August 1939 wurde er zum Ortsgruppenleiter von Kolin ernannt, zu seinen Aufgaben zählte unter anderem Vorträge zu halten und Weisungen auszuführen. In der letzten von vielen Besprechungen mit Vorgesetzten wurde Novák aufgefordert, die Organisation der kommunistischen Jugend zu übernehmen. Dazu erklärte er sich bereit, allerdings kam es aufgrund seiner Dienstverpflichtung im „Altreich“ nicht mehr dazu. Trotz des Ortwechsels bekam, las und verteilte er Flugblätter. Weiterhin holte er die Mitgliedsbeiträge ein.

Verhaftung

Am 12.06.1940 wurde Jan Novák (vermutlich in Leitmeritz) von der Gestapo festgenommen. Der Grund: Vorbereitung zum Hochverrat, da er verbotene Flugblätter und Zeitschriften gelesen und verbreitet haben soll und so eine „Beeinflussung der Massen“ getätigt haben soll. Laut Aktenlage war Novák geständig und soll, anders als die Mitangeklagten, von Anfang an bemüht gewesen sein, die Wahrheit zu sagen und so bei der Klarstellung des Sachverhalts zu helfen. Nach seiner Festnahme tätigte er auch die Aussage, dass er während seiner Zeit im „Altreich“ zu der Einsicht gelangt sei, dass die Ideen der kommunistischen Partei nicht mehr realistisch seien.

Seine fünfjährige Zuchthausstrafe trat Jan Novák erst am 10.02.1942 in Kassel an, die vorherigen 19 Monate und 3 Wochen der Untersuchungshaft wurden von den fünf Jahren abgezogen, sodass die Strafzeit am 19.06.1945 enden sollte. Danach wollte er wieder nach Hause (Kolin) zu seiner Familie und wieder als Elektro-Mechaniker arbeiten. Über die Dauer seiner Haftstrafe äußerte er sich in einem Brief an seine Familie als überrascht, er habe trotz keinerlei Vorbestrafungen mit einer längeren Strafe gerechnet. Dieser Brief erreichte aber seine Eltern nie, da er in Tschechisch verfasst war, somit als unzulässig galt, und daher von den Gefängnisbeamten nicht weitergeleitet wurde.

Während seiner Zeit im Zuchthaus Wehlheiden wurde Novák in vielen Bereichen, unter anderem bei Bitter-Polar, eingesetzt. Dies und auch die Tatsache, dass er vorher bei mehreren Firmen tätig war, ist ein Hinweis darauf, dass er durch seine Qualifikationen v. a. zum Kriegsende hin als eine wertvolle Arbeitskraft eingestuft wurde. Bei seinen Tätigkeiten erlitt er viele Verletzungen an seinen Fingern, die provisorisch mit billigen Mitteln behandelt wurden, wie aus der Personalakte hervorgeht. Außerdem hatte er auch Probleme mit seiner Lunge.

An seinem von Juli 1942 bis September 1943 im Durchschnitt 57 kg betragenden Gewicht, bei einer Körpergröße von 173 cm, lässt sich unschwer erkennen, dass die Häftlinge des Zuchthauses Kassel-Wehlheiden nicht genug zu essen bekamen. Erst 1944 änderte sich dieser Umstand: Offensichtlich verbesserte sich die Nahrung von Jan Novak, sodass er 70 kg wog. Womöglich wollte man durch mehr Essen die Arbeitskraft des Zwangsarbeiters erhalten bzw. wiederaufbauen.

Briefe

Es ist nur ein Brief von Jan Novák an seine Familie erhalten, da er in Tschechisch verfasst wurde und so gegen die Regel verstieß, dass nur deutschsprachige Briefe weitergeleitet werden durften. Da auch die Antwortbriefe auf Tschechisch sind, wurden sie wahrscheinlich ebenfalls nicht an ihn weitergeleitet.

In diesem Brief vom 10.03.1942 schrieb er, dass er seine Familie vermisse und seit vier Monaten nichts mehr von ihnen mitbekommen habe. Weiterhin glaube er, dass der Krieg noch vor seinem Strafende beendet werden würde, sodass er auf eine Amnestie hoffe. Es gehe ihm gut, seine Zelle sei sauber und das Essen gut, so Novák. Insgesamt sei er sehr positiv eingestellt, er wolle sogar die Zeit nutzen, um Deutsch zu lernen. Dementsprechend wünschte er, dass seine Mutter ihm ein Wörterbuch und weitere nützliche Kleinigkeiten wie Rasierzeug, Vaseline und Seife schicke. Gerne würde er auch Fotos haben und Neues aus Kolin und Prag erfahren. Außerdem berichtete er, wie er und andere Insassen das Weihnachtsfest 1941 in Bayreuth verbrachten, sie durften sich sogar einen Weihnachtsbaum kaufen. Zu guter Letzt ließ er alle Bekannten grüßen und zeigte sich zuversichtlich, alle wiederzusehen. Er wolle ihnen zwei Monate später noch einmal schreiben.

Auch Briefe seiner Familie an ihn sind überliefert. In einem dieser Briefe begründete zunächst seine Schwester Lilčo die lange Briefpause damit, dass alle Familienmitglieder in diesem „Chaos“ keine Zeit gefunden hätten, ihm zu schreiben. Sie schrieb auch, dass sie ihm Seife und Rasierklingen geschickt hätten. Da auch von zwei anderen Briefen die Rede ist, konnte Jan Novák offensichtlich in weiteren Briefen seine Wünsche seiner Familie mitteilen. Ansonsten war sie genauso positiv eingestellt wie ihr Bruder und erwähnte noch kurz, dass in Kolin und Prag alles beim Alten sei.

In dem zweiten Abschnitt dieses Briefes schrieb seine Mutter, Anna. Aufgrund vieler orthographischer Fehler kann darauf geschlossen werden, dass sie nicht so gebildet war wie ihre Kinder. Sie schrieb, dass sie für ihren Sohn Gemüse und Obst eingelegt bzw. gedörrt habe und dass sein Vater sowie auch sie wieder genesen seien. Auch sie zeigte sich hinsichtlich eines Wiedertreffens zuversichtlich und lies von vielen Bekannten grüßen.

Den dritten Abschnitt desselben Briefes verfasste ein Familienmitglied der Hladinovs, vermutlich ein Nachbar. Auch dessen Schrift ist schwer lesbar. Offensichtlich hatte diese Person Jan Novák Fotos von seinen Söhnen mitgeschickt und Anekdoten dazu erzählt. Dieser Familie ginge es laut des Verfassers ebenfalls gut.

Zu guter Letzt schrieb eine unbekannte Person, die von den Petikals grüßen ließ und sich auf ein Wiedersehen freue.

Tod

Die Kasseler Bombennacht im Oktober 1943 hatte Jan Novák überlebt. Aber neun Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch die bedingungslose Kapitulation der Deutschen am 22.08.1944 starb Jan Novák aufgrund eines Bombenangriffs der Alliierten auf Kassel während eines Arbeitseinsatzes in der Holländischen Straße 127.

Er war ledig und kinderlos; seine Eltern und Geschwister hatte er nicht wiedersehen können. Jan Novák wurde nur 29 Jahre alt.

Aufenthaltsorte Jan Nováks
Aufenthaltsorte Jan Nováks

Arbeitsprozess und persönliche Erfahrungen

Anfang des Jahres wurde es einer kleinen Gruppe unserer Schule, dem Friedrichsgymnasium Kassel, vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. ermöglicht, an einem Projekt anlässlich des Volkstrauertages 2017 zum Thema Deutsch-Russische Freundschaft zu arbeiten.

Am Anfang des Projektes stand ein Treffen aller Schüler mit Herrn Mallm, dem Projektleiter, um uns an das Thema Russland heranzuführen. Anschließend besuchten wir den Kasseler Hauptfriedhof, wo wir die Gräber vieler Soldaten, aber auch die von Regimeopfern besuchten. Danach besprachen wir erste Biographien ausgewählter Opfer und bildeten Kleingruppen, die sich jeweils einer Biographie annahmen. In weiteren Treffen beschlossen wir, die erarbeiteten Biographien und andere Texte auf einer Website zu veröffentlichen, gleichzeitig aber auch eine Ausstellung mit Begleitband zu entwickeln.

Nachdem die grundlegenden Entscheidungen gefällt waren, vereinbarte unsere Kleingruppe (Josefine Venne und Leonie Kuhne) einen Termin mit Hr. Jost vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., an dem wir schon im Archiv die Strafakte Johann Novaks lesen konnten. Die ersten Fragen konnten so schnell geklärt werden. Nun standen wir vor einem Problem: Die handschriftlichen Aufzeichnungen in der Akte waren fast ausschließlich in Sütterlin geschrieben. Weiterhin mussten wir noch eine Person finden, die uns die Briefe aus der tschechischen in die deutsche Sprache übersetzen konnte. Betreffend der Sütterlinschrift fragten wir bei Familie und Bekannten nach und schon bald erklärten sich Karin-Anne und Klaus Scheck (Josefine Vennes Großeltern) bereit, die Schriftstücke für uns zu entziffern. Gegen Mitte der Sommerferien konnten wir sowohl die entzifferten Schriftstücke als auch die Zusatzergebnisse auswerten, die das Ehepaar Scheck uns mitgeschickt hatte, und in den Bericht einarbeiten. Auch für die Übersetzung der Briefe war bald eine Lösung gefunden: Der Onkel eines Klassenkameraden und Teilnehmer an dem Projekt, Gerd Schwarz, übernahm freundlicherweise diese Aufgabe. Die Übersetzung erreichte uns dann ebenfalls gegen Mitte der Sommerferien. Nun konnten wir endlich die Biographie Johann Novaks abschließen, es war sogar noch genügend Zeit, ein Phantombild zu zeichnen und eine Karte mit den Aufenthaltsorten von ihm zu machen. Außerdem verfassten wir noch einen Bericht über die Justizvollzugsanstalt, dem damaligen Zuchthaus Wehlheiden, über das wir Bücher von unserem Projektleiter aus der Gedenkstätte Breitenau bereitgestellt bekommen hatten. Zuletzt nahmen wir Kontakt zum Bürgermeister von Kolín, Vit Rakušan, auf, um eventuelle Verwandte Johann Nováks ausfindig zu machen. Seine Assistentin erklärte sich bereit, das örtliche Archiv zu kontaktieren, ließ aber auch verlauten, dass Novák der am weitesten verbreitete Nachname Tschechiens sei und es sehr schwierig sein würde, Verwandte zu finden. Tatsächlich befinden sich keine lebendigen Nachfahren in Kolín. Dafür fanden wir heraus, dass Johann Novák eigentlich auf Jan getauft wurde, seine Geschwister eigentlich alle seine Halbgeschwister waren und aus der ersten Ehe seines Vaters stammten.

Rückblick

von Josefine Venne

Emotional haben mich die Briefe wohl am meisten berührt. Anfangs war ich überzeugt, dass die Haft eine unglaublich düstere Zeit für Novák gewesen sein muss, in seinen Briefen erschien er aber sehr positiv. Dies und auch, dass er laut den Akten hilfsbereit erschien, seinen Fall zu klären, überraschte mich. Ein weiterer interessanter Punkt war, wie gebildet und fähig Novák gewesen sein muss, was ja anhand der unterschiedlichen Betriebe und Fortbildungen zu bemerken ist. Zu guter Letzt war es erschreckend, wie wenig Interesse für die Häftlinge da war, gut ablesbar anhand der vielen Unstimmigkeiten in der Akte, ebenso anhand der Medikamente und dem Durchschnittsgewicht, also der Ernährung. Natürlich war mir von Anfang an bewusst, dass Inhaftierte als „Untermenschen“ gesehen wurden, trotzdem schockierte mich dieses Desinteresse der anderen Menschen. Umso beeindruckender fand ich, mit welchem Optimismus Johann Novák an diese Situation heranging. Diese Einstellung werde ich versuchen mir ebenfalls anzueignen, um immer mein Bestes zu geben! Gerne hätte ich auch weiter nach lebenden Verwandten gesucht, leider hätte das aber den Rahmen des Projekts gesprengt.

Durch die Arbeit mit der Akte ist es mir noch wichtiger geworden, mich über die Verbrechen während des Nazi-Regimes zu informieren, weshalb ich angefangen habe, viele Bücher über dieses Thema zu lesen. Weiterhin möchte ich möglichst viele Leute dazu bewegen, sich ebenfalls mit Personen zu beschäftigen, die unter den grausamen Taten der Nazis leiden mussten.

Persönliche Erfahrung

von Leonie Kuhne

Am Anfang des Projektes wusste ich nicht so wirklich, wie das Ganze werden würde. Ich war bereits mit der Schule in Auschwitz gewesen und hatte mir nicht wirklich vorstellen können, wie schlimm es damals gewesen sein muss und wie die Leute damit umgegangen sind. Auch dort hatten wir uns oberflächlich mit verschiedenen Personen und ihren Schicksalen beschäftigt, für mich schien das aber nicht zu reichen, da ich fand, dass es den Opfern des Zweiten Weltkrieges nicht gerecht wurde. Und auch als meine Projektpartnerin und ich beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ankamen, die Akte über Johann Novak in Empfang nahmen und das erste Mal lasen, kam mir all das so fremd und unnahbar vor. Ich konnte mir keine Person zu den verschiedenen Formularen vorstellen, vor allem auch, weil es keine Fotografie von ihm gab. Doch als wir anfingen, mit der Akte zu arbeiten und einen Lebenslauf zusammen zu puzzeln, veränderte sich etwas für mich. Wir wussten immer mehr über ihn und ich bekam so ein Bild davon, wer er war und wie er sich verhalten hatte. Es fühlte sich irgendwann fast so an, als hätte ich ihn persönlich gekannt. Meine Projektpartnerin und ich fingen an, uns über ihn zu unterhalten wie über einen Bekannten und einige unserer Freunde fragten bald verwirrt, wer dieser Typ sei, von dem wir redeten. Sehr hilfreich war für mich auch das Zeichnen seines Phantombilds auf Grundlage eines Kennzeichnungsformulars, welches seine äußeren Merkmale festhielt, da es ihm endlich ein Gesicht gab und ihn echter und menschlicher machte. Er sah sehr wahrscheinlich nicht so aus, wie wir ihn uns vorstellen und vielleicht war er auch vom Wesen her nicht so wie wir aus den Akten und Briefen entnehmen konnten, aber für mich hat er das Leid und die vielen grausamen Dinge des zweiten Weltkriegs greifbarer, vorstellbarer und damit auch schlimmer gemacht.

Die Opfer wurden menschlicher und reeller, während die Taten nur unmenschlicher und weniger nachvollziehbar wurden.

Danksagung

Ein großes Dankeschön an all diejenigen, die uns dieses Projekt ermöglicht haben!

An erster Stelle wäre da der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zu nennen, der unsere Schule, das Friedrichsgymnasium Kassel, für dieses Projekt ausgewählt hat und uns die ganzen Grundinformationen zu den erforschten Personen bereitgestellt hat.

Auch ohne unseren Projektleiter, Hr. Mallm, wäre dieses Projekt nicht zustande gekommen. Durch seine Verbindungen zum Archiv der Gedenkstätte Breitenau konnte auch er uns wertvolle Informationen liefern.

Nicht nur in Deutschland haben uns Personen geholfen, auch in Tschechien, genauer gesagt Kolín, halfen uns Fr. Iva Blűmelová, Assistentin des Bürgermeisters von Kolín, und Hr. Jaroslav Pejša von dem dortigen Archiv mit vielen Informationen!

Weiterhin wurde uns von Hr. Gerd Schwarz bei der Übersetzung der tschechischen Briefe geholfen, welche uns wertvolle Einblicke in das Gefühlsleben Jan Nováks gewährte.

Zu guter Letzt danken wir Karin-Anne und Klaus Scheck, Josefine Vennes Großelternpaar, die bei der Entzifferung der Sütterlinhandschrift halfen und darüber hinaus noch viele interessante Informationen und Ideen mit uns teilten.

Vielen Dank für die Mithilfe so vieler Personen, ihre Hilfe bedeutet uns sehr viel!

Quellen

Zuchthaus Kassel-Wehlheiden: Strafakte Johann Novák, bereitgestellt vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.


  1. Zuchthaus Kassel-Wehlheiden.