Iwan Gusew

von Lara Müller und Rebekka Thiele


Iwan Gusew war ein russischer Kriegsgefangener im STALAG IX A Ziegenhain. Geboren ist er am 07.11.1914 in Russland und 2005 verstorben. Von Beruf war Gusew Rechtanwalt, und wurde im Krieg als Offizier eingesetzt. Im April 1942 gerät er in Deutsche Kriegsgefangenschaft zunächst in einem Lager in Russland. Später wird er nach Bochum und Litauen versetzt, bevor er in das Lager in Ziegenhain gebracht wird. Hier war er als Holzschuhmacher zum Arbeiten eingesetzt. Während seiner Gefangenschaft erkrankte er an Tuberkulose, was bis zu seinem Lebensende andauerte.

Insgesamt wurden die russischen und aus Osteuropa stammenden Kriegsgefangene deutlich schlechter behandelt als westeuropäische Kriegsgefangene. Dies geschah aufgrund der nationalsozialistischen Ideologie, nach der Osteuropäer weniger wert seien. Dieses Verhalten wurde internationalen Organisationen gegenüber damit gerechtfertigt, Russland habe die Genfer Konvention zum Umgang mit Kriegsgefangenen nicht unterschrieben.

Aus seiner Zeit in Ziegenhain stammt ein Tagebuch, wo er seine Gefühle niederschreibt und damit einen Einblick in seine psychische Verfassung gibt. Dieses Tagebuch ist einzigartig, da es aus der Zeit in den Lagern von Häftlingen nur wenige Dokumente gibt. Dort lässt sich auch sein hoher Bildungsgrad erkennen und sein kulturelles Verständnis (er nimmt häufig Bezug auf Autoren wie Shakespeare). Zudem hatte er ein dichterisches Talent. In seinen Gedichten spielt häufig seine Liebe zu seiner Frau eine große Rolle, wobei meist das Motiv der Sehnsucht zu erkennen ist.

Nach seiner Befreiung steht Gusew erst mal vor dem Nichts. Die Rückkehr in die Sowjetunion war mit Gefahr verbunden, da viele Kriegsgefangene unter Kollaborationsverdacht standen und in russische „Gulags“ gebracht wurden. Dem kann Gusew entgehen, trotzdem wird ihm sein Offiziersrang aberkannt und er erhält ein Berufsverbot als Rechtsanwalt. Deshalb arbeitet er bis zu seiner Rente als Fabrikarbeiter. Erst 1994 erfolgte eine Wiedergutmachung und 1999 wird seine Kriegsinvalidität anerkannt.

Sein Tagebuch hatte in seiner späteren Lebenszeit die Funktion der Erinnerung. Des Weiteren hoffte er, nachfolgenden Generationen die Erlebnisse begreiflich zu machen. Im Jahr 2003 lobte Gusew das Errichten der Gedenkstätte für das Kriegsgefangenen Lager Ziegenhain und stimmt einer neuen Auflage seines Tagebuchs zu. Auch spricht er sich für eine Benutzung in Schulen aus, da die Kraft des Tagebuchs in der Wahrheit liege. Ihm war es wichtig, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen und sie jungen Generationen verständlich zu machen.

Ein Gedicht nach Gusew

Monatelang haben wir uns mit Iwan Gusew beschäftigt. Der russische Zwangsarbeiter war im STALAG Ziegenhain gefangen. Während seiner Gefangenschaft hat er es als einer der Wenigen geschafft, ein Tagebuch zu schreiben. Dank der Gedenkstätte Trutzhain konnten wir dieses Tagebuch in zwei verschiedenen Übersetzungen lesen. Iwan Gusew schreibt in diesem sowohl von seinem unserer Meinung nach äußerst hartem Leben im Gefangenenlager, als auch von seiner Frau, die er sehnsüchtig vermisst. Die Liebesgedichte an sie haben uns persönlich nochmal in besonderer Weise berührt und verdeutlicht, in welchem Ausmaß die Kriegsgefangenschaft das Leben der Gefangenen beeinträchtigt und belastet hat. Das Tagebuch hat uns einen tiefen Einblick in Gusews psychische und seelische Verfassung während der Gefangenschaft gewährt. Von seinem lyrischen Talent inspiriert, haben wir uns dazu entschieden, ein weiteres Gedicht in Anlehnung an sein Leben zu verfassen. Dies halten wir für eine angemessene Art, an ihn zu erinnern. Zum Teil haben wir uns auch seiner Worte bedient.

Wahrheit

Lara Müller und Rebekka Thiele

Dich werd ich nie vergessen
Meine Ophelia geistert durch mein Herz
Nur du kannst mich von härtesten Qualen befreien
Strahlender Diamant in meiner Erinnerung
Jahre sind vergangen aber du bleibst bei mir
In den Träumen meiner sehnenden Seele –
Dir bleibe ich immer treu

Ich kriege hier kaum Nahrung
Ich sehne mich nach Wärme, Licht auch Freude
Erfüllung meiner Seele ist mir lang nicht vergönnt
Alles quälende, traurige Gewohnheit
Ich blicke stumm den andern nach
Hinter die vor Schmerzen klagenden Zäune
Sehe vieles nach dem meine Seele sich zehret

Der Vorrat schwindet
Düstere Tage
Scharfer Schmerz
Ein Wirbel von Chaos und Zerstörung
Meine Ophelia gibt mir Kraft
Stechendes Herz

Ist‘s des Vogels Schicksal, die Freiheit wiederzusehen?
Grenzenlos grenzenlos
Ob du auf mich wartest?
Ich bin nicht derselbe, der ich war
Der Hunger zernagt meine Kehle
Ich werde zerstreut wie ein Kind

Wir haben uns Gegenseitig satt
Und der Krieg geht weiter
Wir haben das Alles satt
Endloses Schleppseil des grausamen Schicksals
Völlige Gleichgültigkeit

Fee, Liebste, denk an mich
Du Königin meiner Träume
Lesen auf der Pritsche,
Schreiben, Schustern

Tatenlose Leere
Tabak
Trübe auf dem Herzen

Das Läuten der Glocken klingt wie Verspottung
Erinnerung, im Kontrast zur verfluchten Realität

Es ist erstaunlich, dass ich noch schreiben kann